Dienstag, 20. Februar 2018

Jetzt ist es mir doch tatsächlich passiert


 … daß ich das Gedenken der siebzigsten Wiederkehr des Todestages eines meiner insgeheimen »Lieblingskardinäle« der Kirchengeschichte, des Bischofs von Ostia und Albano, Gennaro Kardinal Granito Pignatelli di Belmonte, Dekan des Heiligen Kollegiums von 1936 bis zu seinem Tode am 16. Februar 1948, — bei seinem Tod der einzige Kardinal, der seinerzeit noch von Pius X. kreiert worden war — am 16. Februar übersehen habe!

Was ihn zu einem meiner Lieblinge machte? Nun, die geist-sprühend-ironische Darstellung, mit welcher der französische Schriftsteller Roger Peyrefitte in seinem Roman »Die Schlüssel von Sankt Peter« en passant sein Bild entwirft — in einem Gespräch, welches ein ebenso fiktiver wie altersweiser Kardinal Belloro mit seinem jungen Privatsekretär, einem aus der bigotten Enge eines französischen Priesterseminars der 1950er-Jahre über Empfehlung seines verständnisvollen Bischofs nach Rom »geflüchteten« Seminaristen, über die damaligen Spekulationen wegen eines möglichen Nachfolgers Pius’ XII. führt. Doch erteilen wir einfach der fiktiven Eminenz Belloro selbst das — hier nur um einige Zwischenbemerkungen gekürzte — Wort:
»Was ich mich frage«, sagte Seine Eminenz lachend, »ist, wie man jetzt zwischen den italienischen Kardinälen eine Übereinstimmung erzielen will, nachdem es keinen Kardinal Granito de Belmonte mehr gibt. Er hat die Wahl in allen Konklaven entschieden, an denen er teilnahm, auch ehe er Doyen des Heiligen Kollegiums wurde. Sein Nachfolger Tisserant genießt zwar mehr Ansehen, hat aber glücklicherweise nicht den gleichen Grund, ebensoviel Einfluß zu haben. Der verewigte Granito de Belmonte war nämlich der unwahrscheinlichste jettatore, von dem man weiß. Daher bemühten sich seine italienischen Kollegen zu erfahren, wer sein Kandidat sei. Sie schlossen sich ihm augenblicklich an, aus Furcht, ihm in die Quere zu kommen. Dies Geheimnis, das niemals jemand zugeben wird, hat nacheinander Benedikt XV., Pius XI. und Pius XII. auf den Thron gebracht.

Keiner von uns liebte Kardinal Pacelli besonders: Kardinal Granito di Belmonte nötigte uns, so zu tun, als ob wir ihn liebten. Der Pastor Angelicus wußte sehr wohl, daß er es ihm verdankte, wenn er diesen Titel besaß, aber es war nicht reine Dankbarkeit, aus der heraus er ihm nichts abschlug. Wehe denen, die ihm irgend etwas verweigerten! Alle Kräfte der Jettatura der lieblichen Stadt Neapel, in der er geboren war, hetzten den Unvorsichtigen und verspeisten ihn mit einem einzigen Biß.

Lange ehe er Doyen wurde, indem er eine große Leere um sich herum schuf, hatte er mit dem „bösen Blick“ einiges Beachtliche zustande gebracht. Ein Professor, der ihn als Schüler hatte sitzenbleiben lassen, ein Vorgesetzter auf dem Seminar, der ihn schikaniert hatte, eine Oberin, die ihn verleumdete, als er Seelsorger eines Nonnenklosters war, ein Nuntius, der ihn nach Rom zurückgeschickt hatte, als er bei ihm Attaché war, ein Attaché der Nuntiatur, der ihn hintergangen hatte, als er Nuntius war, ein residierender Erzbischof, der an seiner Weihe Anstoß genommen hatte, als er Titular-Erzbischof wurde, zwei Kardinäle, die seine Ernennung zum Kardinal getadelt hatten: sie alle wurden innerhalb eines Jahres vom Tode dahingerafft.

Wenn er mit seinen Kollegen zusammenkam, machten diese, da sie nicht gut die Beschwörungsgeste der römischen Straßenjungen ausführen konnten, wenigstens die Hörner mit dem kleinen und dem Zeigefinger der hinter dem Rücken gehaltenen Hand. Mehr als einer ergänzte diese Fingerhörner durch eines jener kleinen roten Hörner, wie sie viele Italiener am Gürtel tragen, möglichst nahe jener Stelle, der im besonderen die Eigenschaft innewohnt, vor dem bösen Blick zu schützen. Der Papst selbst, behauptete man, habe niemals den Kardinal Granito di Belmonte empfangen, ohne einen silbernen Brieföffner in der Hand zu halten, da dieses Metall dieselben Eigenschaften wie die Hörner besitzt; und im Nebenraum zündete Schwester Pasqualina eine Kerze an.

Es wäre schwierig gewesen zu verhüten, daß das Publikum von einer so böswirkenden Kraft erfuhr, die den Gräbern im Tal der Könige und den Hexen im Mittelalter vergleichbar war. Eine Pulverfabrik war in die Luft geflogen, ein Schiff gesunken, eine Kapelle war eingestürzt – am Tage, nachdem der Kardinal sie geweiht hatte. Ein Neapolitaner hätte sich lieber umbringen lassen, als den Namen des Kirchenfürsten auszusprechen. Er war für seine engeren Landsleute der innominato, der große Ungenannte. Botschafter, die ihn einladen mußten, wußten im voraus, daß ein Diener den Inhalt seiner Schüssel einer Fürstin in den Rückenausschnitt gießen werde, daß ein anderer Gast eine schwere Magenstörung bekommen, daß ein vergoldeter Löffel verschwinden würde. Bei alledem war der Kardinal Granito di Belmonte nicht ohne Geist, und man erzählte sich immer wieder seinen berühmten Ausspruch gegenüber einer Dame, die ihn wegen ihres für diesen Anlaß etwas zu tiefen Decolletés um Entschuldigung bat: „Questi bei monti mi lascano di granito“, die schönen Hügel lassen mich kühl wie Granit. Man setzte aber nicht hinzu, daß die Besitzerin dieser schönen Hügellandschaft selbige zwei Monate später hatte abschneiden lassen müssen.

Viel beachtet wurde auch, daß das Dekanat des Granito di Belmonte den Abessinischen Krieg zur Ouvertüre hatte, und als Orchesterbegleitung den zweiten Weltkrieg, der Italien an alle Fronten rief und das Land der Verwüstung preisgab. Um die Römer zu beruhigen, hatte sich der Kardinal außerhalb der Stadt niedergelassen, bei spanischen Nonnen, deren Schirmherr, oder besser gesagt: deren Schrecken er war. Als es ihm leid wurde, dort immer neue Begräbnisse zu zelebrieren, flüchtete er in den Vatikan, auf geweihten Boden, da dort die okkulten Kräfte besser im Zaum zu halten waren, und starb fast hundertjährig, eine endlos lange Spur von Katastrophen und Todesfällen hinter sich lassend.«
Roger Peyrefitte, der im hohem Alter von 93 Jahren — bis zuletzt voll Agilität, Schaffenskraft und geistiger Frische — verstarb, dürfte mit dieser pikant gewürzten Schilderung dennoch nicht das Mißfallen des verewigten Kardinaldekans erregt haben, denn er überlebte das Erscheinen seines Romans (als wie skandalös dieser bei seinem Erscheinen auch angesehen worden war!) immerhin um dreieinhalb Jahrzehnte. Und so habe auch ich die Hoffnung, daß die Eminenz (wo immer ihr jenseitiger Aufenthaltsort jetzt gelegen sein mag) ebenso ohne Stirnrunzeln diese nur um wenige Tage verspätete, doch aufrichtige Huldigung entgegennimmt — was sind denn schon vier Tage in der Ewigkeit währendem Sein?

Und falls nicht? Nun, diesfalls dürfte dieser Blog — wenigstens was LePenseurs Autorschaft betrifft — nach den obgenannten Beispielsfällen binnen Jahresfrist, also vor dem 16. Februar 2019 enden. Was ich seit dem Gewahrwerden meiner Unachtsamkeit durch den meinen silbernen Brieföffner umklammernden Griff nach Möglichkeit zu verhüten trachte.

Wohlmeinende Leser dieses Blogs, die es bleiben wollen, tun vielleicht gut daran, in den nächsten Monaten die eine oder andere Kerze dessenthalben zu entzünden. Wir — oder besser gesagt: Sie — werden ja sehen, ob es hilft …

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