Montag, 6. Juni 2016

„Bin ich noch in meinem Haus?“

Letzte Worte sind oft trügerisch, oft genug auch von der wohlmeinenden Umgebung des großen Mannes (große Frauen gibt's einerseits weniger häufig, andererseits haben sie offenbar kein so ausgeprägtes Epitaph-Bedürfnis wie die Männer) ins Bedeutsame umgefärbt, um nicht zu sagen: umgebogen ...

Manches in den letzten Worten bleibt rätselhaft. Goethes berühmtes „Mehr Licht“ ist so ein Fall. Im Gedenkartikel für Stanisław Jerzy Lec liefert dieser eine kühne Interpretation des trotz allem dunklen Wortes ...

Die bange letzte Frage des sterbenden Gerhart Hauptmann hingegen ist klar: sie bezieht sich auf das von ihm befürchtete Schicksal der Vertreibung aus seiner Heimat, aus dem ihm seit Jahrzehnten Heimat im engsten Sinne gewordenen Haus in Agnetendorf. Ein Schicksal, das er nicht mehr erleben mußte, das er jedoch mit Millionen Deutscher aus den Ostgebieten des Reiches, die seit vielen Jahrhunderten deutsch besiedelt und geprägt waren, geteilt hätte; wegen der verbrecherischen Umtriebe jener „Drei Großen von Jalta“, die gerechterweise bei den Nürnberger Prozessen mit den Potentaten des Dritten Reichs auf der Anklagebank hätten Platz nehmen müssen: denn um keinen Deut geringer war ihre Schuld als die mancher Angeklagter*) bei diesen Schauprozessen.

Das Schicksal ersparte es Hauptmann gnädig, als Hochbetagter ins Exil gehen zu müssen. Und seine frühen Dramen, deren sozialrevolutionärer Impetus den Geschmack der kommunistischen Machthaber in der späteren DDR befriedigte, sorgte dafür, daß er erst als Toter exiliert wurde. Nach seinem (ebenfalls geliebten) Hiddensee, freilich ...

Die Freundlichkeit der DDR-Nomenklatur ersparte Hauptmann allerdings nicht die Kritik der durch die Gnade der späten Geburt jeder Entscheidung in jenen zwölf Jahren enthobenen Splitterrichter, die nur zu bereitwillig den Stab über Hauptmann brachen, weil er sich geweigert hatte, das Land seiner Sprache und Kultur zu verlassen, oder gar die Frechheit hatte, ihm dargebrachte Huldigungen der Nazis (die ohnehin eher bescheiden und stets mit Mißtrauen gegenüber einem Mann der Weimarer Zeit erteilt wurden!) sich nicht kategorisch zu verbitten. Arno Breker (auch ein Geächteter nach 1945) hat eine ergreifende Porträtbüste Hauptmanns geschaffen, die heute im sogen. Haus Schlesien steht:



Und wir müssen diesem Blick, der heute, auf den Tag genau siebzig Jahre später, immer noch zu fragen scheint: „Bin ich noch in meinem Haus?“, standhalten, und ebenso beschämt wie ehrlich antworten: „Nein. Denn Ihr wahres Haus, die deutsche Sprache, die Kultur Deutschlands, wird derzeit von einem verantwortungslosen Politikermob einfach preisgegeben, weggeworfen, bestenfalls verhökert um einiger augenblicklicher Vorteile willen.“

Und das ist die wahre Tragödie, die heute in Deutschland allerorts und jederzeit gespielt wird ...



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*) nicht aller natürlich. Aber wer ernstlich behaupten will, daß ein Generaloberst Jodl größere Schuld auf sich geladen hatte, eine Schuld, die nur durch ehrloses Erhängen zu sühnen wäre, als bspw. ein Churchill oder Stalin, der hat schlicht einen an der Waffel!

 

1 Kommentar:

quer hat gesagt…

Manches in den letzten Worten bleibt rätselhaft. Goethes berühmtes „Mehr Licht“ ist so ein Fall.

Oft auch nur ein Mißverständnis. Und im Falle Goethes leicht nachzuvollziehen. Als Meister im Umgang mit der Sprache in seinen Werken pflegte Goethe zeitlebens die Marotte, ausschließlich im Frankfurter Dialekt zu sprechen. Hochdeutsch wurde aus seinem Munde nie bezeugt. Es wäre als Ausnahme sicher überliefert. Sein letzter Leibdiener war Thüringer und mit dem Frankfurterischen nicht so vertraut. Obendrein war sein Chef todkrank.

Goethe konnte seine letzte Bemerkung nicht vollenden. Für den Frankfurter lautete die so:

„Mer liescht“…net kommod. Will sagen: Man liegt nicht bequem… Nix da mit Licht. Es ging klar erkennbar um etwas ganz profanes. Aber das konnte der Diener in seiner Aufgeregtheit nicht erkennen.