Samstag, 4. Oktober 2014

Der »Aufruf an die Kulturwelt«

... (auch als »Manifest der 93« bezeichnet) wurde heute vor hundert Jahren, am 4. Oktober 1914, als Entgegnung auf die maßlose Hetzkampagne veröffentlicht, mit der die Alliierten versuchten, die Deutschen in den Augen der Welt als bestialische »Hunnen« und de facto einzig Kriegsschuldigen darzustellen.

Man alteriert sich gern (und mit Berechtigung) über die haßerfüllten Bilder im »Stürmer« — und blendet dezent aus, daß bereits im Ersten Weltkrieg die alliierte Kriegspropaganda Deutschland bspw. als blutverschmierten brüllenden Affen (als Karikatur Kaiser Wilhelms II) darstellte, mit der völlig eindeutigen Aufforderung zu seiner völligen Vernichtung: »Destroy This Mad Brute«.


Der »Aufruf an die Kulturwelt« hingegen bleibt höchst gesittet und weist in nachdrücklichen, aber keineswegs haßerfüllten Worten die Verleumdungen und Übertreibungen zurück, mit der angebliche — und im Zug der Kriegshandlungen teilweise wohl auch tatsächlich vereinzelt vorgekommene — Untaten der Deutschen dazu dienen sollten, einen Krieg der Alliierten gegen Deutschland, mit dem dessen politische und wirtschaftliche Ausschaltung erreicht werden sollte, zu einem »Krieg der Kulturvölker gegen die deutschen Barbaren« umgefälscht werden sollte.

An die Kulturwelt!

Wir als Vertreter deutscher Wissenschaft und Kultur erheben vor der gesamten Kulturwelt Protest gegen die Lügen und Verleumdungen, mit denen unsere Feinde Deutschlands reine Sache in dem ihm aufgezwungenen schweren Daseinskampfe zu beschmutzen trachten. Der eherne Mund der Ereignisse hat die Ausstreuung erdichteter deutscher Niederlagen widerlegt. Um so eifriger arbeitet man jetzt mit Entstellungen und Verdächtigungen. Gegen sie erheben wir laut unsere Stimme. Sie soll die Verkünderin der Wahrheit sein.
Es ist nicht wahr, daß Deutschland diesen Krieg verschuldet hat. Weder das Volk hat ihn gewollt noch die Regierung noch der Kaiser. Von deutscher Seite ist das Äußerste geschehen, ihn abzuwenden. Dafür liegen der Welt die urkundlichen Beweise vor. Oft genug hat Wilhelm II. in den 26 Jahren seiner Regierung sich als Schirmherr des Weltfriedens erwiesen; oft genug haben selbst unsere Gegner dies anerkannt. Ja, dieser nämliche Kaiser, den sie jetzt einen Attila zu nennen wagen, ist jahrzehntelang wegen seiner unerschütterlichen Friedensliebe von ihnen verspottet worden. Erst als eine schon lange an den Grenzen lauernde Übermacht von drei Seiten über unser Volk herfiel, hat es sich erhoben wie ein Mann.
Es ist nicht wahr, daß wir freventlich die Neutralität Belgiens verletzt haben. Nachweislich waren Frankreich und England zu ihrer Verletzung entschlossen. Nachweislich war Belgien damit einverstanden. Selbstvernichtung wäre es gewesen, ihnen nicht zuvorzukommen.
Es ist nicht wahr, daß eines einzigen belgischen Bürgers Leben und Eigentum von unseren Soldaten angetastet worden ist, ohne daß die bitterste Notwehr es gebot. Denn wieder und immer wieder, allen Mahnungen zum Trotz, hat die Bevölkerung sie aus dem Hilterhalt beschossen, Verwundete verstümmelt, Ärzte bei der Ausübung ihres Samariterwerkes ermordet. Man kann nicht niederträchtiger fälschen, als wenn man die Verbrechen dieser Meuchelmörder verschweigt, um die gerechte Strafe, die sie erlitten haben, den Deutschen zum Verbrechen zu machen.
 Es ist nicht wahr, daß unsere Truppen brutal gegen Löwen gewütet haben. An einer rasenden Einwohnerschaft, die sie im Quartier heimtückisch überfiel, haben sie durch Beschießung eines Teils der Stadt schweren Herzens Vergeltung üben müssen. Der größte Teil von Löwen ist erhalten geblieben. Das berühmte Rathaus steht gänzlich unversehrt. Mit Selbstaufopferung haben unsere Soldaten es vor den Flammen bewahrt. - Sollten in diesem furchtbaren Kriege Kunstwerke zerstört worden sein oder noch zerstört werden, so würde jeder Deutsche es beklagen. Aber so wenig wir uns in der Liebe zur Kunst von irgend jemand übertreffen lassen, so entschieden lehnen wir es ab, die Erhaltung eines Kunstwerks mit einer deutschen Niederlage zu erkaufen.
Es ist nicht wahr, daß unsere Kriegführung die Gesetze des Völkerrechts mißachtet. Sie kennt keine zuchtlose Grausamkeit. Im Osten aber tränkt das Blut der von russischen Horden hingeschlachteten Frauen und Kinder die Erde, und im Westen zerreißen Dumdumgeschosse unseren Kriegern die Brust. Sich als Verteidiger europäischer Zivilisation zu gebärden, haben die am wenigsten das Recht, die sich mit Russen und Serben verbünden und der Welt das schmachvolle Schauspiel bieten, Mongolen und Neger auf die weiße Rasse zu hetzen.
Es ist nicht wahr, daß der Kampf gegen unseren sogenannten Militarismus kein Kampf gegen unsere Kultur ist, wie unsere Feinde heuchlerisch vorgeben. Ohne den deutschen Militarismus wäre die deutsche Kultur längst vom Erdboden getilgt. Zu ihrem Schutz ist er aus ihr hervorgegangen in einem Lande, das jahrhundertelang von Raubzügen heimgesucht wurde wie kein zweites. Deutsches Heer und deutsches Volk sind eins. Dieses Bewußtsein verbrüdert heute 70 Millionen Deutsche ohne Unterschied der Bildung, des Standes und der Partei.

Wir können die vergifteten Waffen der Lüge unseren Feinden nicht entwinden. Wir können nur in alle Welt hinausrufen, daß sie falsches Zeugnis ablegen wider uns. Euch, die Ihr uns kennt, die Ihr bisher gemeinsam mit uns den höchsten Besitz der Menschheit gehütet habt, Euch rufen wir zu:
Glaubt uns! Glaubt, daß wir diesen Kampf zu Ende kämpfen werden als ein Kulturvolk, dem das Vermächtnis eines Goethe, eines Beethoven, eines Kant ebenso heilig ist wie sein Herd und seine Scholle.

Dafür stehen wir Euch ein mit unserem Namen und mit unserer Ehre!

Adolf von Bayer Prof. Peter Behrens Emil von Behring
Wilhelm von Bode Alois Brandl Lujo Brentano
Prof. Justus Brinkmann   Johannes Conrad Franz von Defregger
Richard Dehmel Adolf Deißmann Prof. Wilhelm Dörpfeld
Friedrich von Duhn Prof. Paul Ehrlich Albert Ehrhard
Karl Engler Gerhard Esser Rudolf Eucken
Herbert Eulenberg Heinrich Finke Emil Fischer
Wilhelm Foerster Ludwig Fulda Eduard von Gebhardt
J. J. de Groot Fritz Haber Ernst Haeckel
Max Halbe Prof. Adolf von Harnack Gerhard Hauptmann
Karl Hauptmann Gustav Hellmann Wilhelm Herrmann
Andreas Heusler Adolf von Hildebrand Ludwig Hoffmann
Engelbert Humperdinck Leopold Graf Kalckreuth Arthur Kampf
Fritz Aug. v. Kaulbach   Theodor Kipp Felix Klein
Max Klinger Alois Knoepfler Anton Koch
Paul Laband, Exz. Karl Lambrecht Philipp Lenard
Maximilian Lenz Max Liebermann Franz von Liszt
Ludwig Manzel Josef Mausbach Georg von Mayr
Sebastian Merkle Eduard Meyer Heinrich Morf
Friedrich Naumann Albert Neisser Walter Nernst
Wilhelm Ostwald Bruno Paul Max Planck
Albert Plehn Georg Reicke Prof. Max Reinhardt
Aois Riehl Karl Robert Wilhelm Röntgen
Max Rubner Fritz Schaper Adolf von Schlatter
August Schmidlin Gustav von Schmoller        Reinhold Seeberg
Martin Spahn Franz von Stuck Hermann Sudermann
Hans Thoma Wilhelm Trübner Karl Vollmöller
Richard Voß Karl Voßler Siegfried Wagner
Wilhelm Waldeyer August von Wassermann Felix von Weingartner
Theodor Wiegand Wilhelm Wien Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff
Richard Willstätter Wilhelm Windelbrand Wilhelm Wundt
Zehn Nobelpreisträger unterzeichneten den Aufruf, ebenso wie viele, bis heute namhaft gebliebene Künstler und Wissenschaftler. Manche von ihnen haben sich später (vorzugsweise nach dem Ende des Ersten Weltkriegs) von ihrer Unterschrift distanziert. Manche mit der Behauptung, sie hätten den Text des Manifests nicht gekannt, andere mit der Angabe, sie hätten ihre Einschätzung der Sachlage geändert. Über die Ehrenhaftigkeit derer, die sich nach Kriegsende zu einer anderen Einschätzung entschlossen, möge sich jeder seine eigene Meinung bilden.

Kennzeichnend jedoch für die masochistische Selbstgeißelungsmentalität der Deutschen ist, daß selbst dieser maßvolle Aufruf von Wikipedia & Co. zum Anlaß genommen wird, die zahlreichen, inzwischen nachweislich zutreffenden Widerlegungen alliierter Kriegspropaganda mit Stillschweigen zu übergehen, aber dafür polemisch zum Punkt »Rezeption« zu bemerken:
Dem Manifest wurde als Mittel der Propaganda im Ersten Weltkrieg in In- und Ausland eine beachtliche Aufmerksamkeit zuteil. Es galt Kritikern als ein Beispiel für eine arrogante und naive Selbstüberschätzung der damaligen deutschen Intellektuellen. Im Inland trug der Aufruf zur allgemeinen Kriegsbegeisterung in Deutschland bei (und war auch Folge derselben). Die Begründung des Krieges mit dem Begriff der Kultur wurde allgemein als Ausdruck eines nationalen „Sonderwegsbewusstseins“ wahrgenommen („Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“)
Aus keiner Zeile des Aufrufs kann eine derartige Schlußfolgerung gezogen werden. Wohl aber die Schlußfolgerung einer arroganten (aber wohl nicht naiven) Selbstüberschätzung der heutigen deutschen Intellektuellen, die zu Lasten ihrer Vorfahren gerne Schuldscheine ausstellen, mit denen sie sich in rückgratloser Anbiederung das Wohlwollender heute Mächtigen erschleichen wollen.

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