Donnerstag, 11. September 2014

Hätte er nur

… folgende Sätze geschrieben (er unternahm darin den wohl fruchtlos bleiben müssenden Versuch, uns Heutigen das Phänomen des antiken Sparta zu erklären):
Wenn Sie sich Sparta im Geiste vorstellen wollen, so müssen Sie an ein als Stadt getarntes Heerlager denken oder an eine riesige soziologische Versuchsanstalt oder an einen stark an normale Menschen erinnernden »vernunftbegabten Bienenstock« — wie Plutarch es schon nannte. Aber eine recht hübsche Stadt, etwas dürftig vielleicht, hell wie ein Labor, sauber wie Potsdam, und nicht unmusisch. Auch in Sparta legte man Apoll Rosen zu Füßen, aber natürlich ordentlich ausgerichtet.
… so wäre er schon zitierenswerter als das meiste Historikerzeugs über die alten Griechen, das unsereins noch in der Mittelschule lernen mußte — zweimal zu meiner Zeit: einmal in der zweiten Klasse der Unterstufe, und dann nochmals in der Fünften (d.h. der ersten der Oberstufe — bei den Piefkes heißt das alles anders, aber ich mache mir heute mal nicht die Mühe das für sie zu übersetzen, irgendwas sollen meine deutschen Leser schon selber tun müssen …). Schrecklich, keiner kannte sich aus und es blieb von all dem Durcheinander nur ein dumpfer Brummschädel zurück, wie nach einer ziemlich durchzechten Nacht (die wir damals zwar noch nicht erlebt hatten, aber rückblickend ist die Ähnlichkeit verblüffend). Nur hat er eben nicht nur diese Sätze geschrieben, sondern über 300 Seiten von fast durchgehend ähnlichem Witz und sprühender Begabung zu trefflicher Charakterisierung. Und er schrieb auch nicht nur dieses eine Buch (der Kenner hat es bereits aus dem Zitat erraten: »Rosen für Apoll«, erstmals veröffentlicht im Jahre 1961, und im Laufe der folgenden zehn Jahre auf zwanzig Auflagen gekommen), sondern viele weitere — und die sind eigentlich alle mit Genuß und Belehrung zu lesen! Von wie vielen Schriftstellern kann man das schon behaupten?

Die Rede ist von Joachim Fernau, der heute seinen 105. Geburtstag feiern könnte, hätte das Schicksal ihn nicht am 24. November 1988 als 79-jährigen in eine (wie zu hoffen steht) bessere Welt entrückt. Jedenfalls in eine, in der ihn Artikel wie den in der Wikipedia kaum kratzen dürften, in welchem über seine Bücher lapidar vermerkt wird:
1952 erschien Deutschland, Deutschland über alles…, sein meistverkauftes Buch. Er publizierte zahlreiche weitere Bücher – unter anderem Die Genies der Deutschen, Disteln für Hagen: Bestandsaufnahme der deutschen Seele, Und sie schämeten sich nicht oder Rosen für Apoll, einige davon Bestseller. Fernaus Gesamtauflage in den 1950er bis 1970er Jahren lag bei mehr als zwei Millionen Exemplaren. Seine Schriften sind Sachbücher zur Geschichte und werden der trivialen Unterhaltungsliteratur zugeordnet.
Nebbich! Für diese angeblich »triviale Unterhaltungsliteratur« (das Verdikt entstammt einer Publikation einer gewissen Christa Bürger, »Textanalyse als Ideologiekritik. Zur Rezeption zeitgenössischer Unterhaltungsliteratur«, Frankfurt a. M. 1973 — das »a.M.« mußte wohl hinzugefügt werden, um einer vom Inhalt nahegelegten Verwechslung vorzubeugen) tät’ ich Hekatomben von »nicht-trivialer Nicht-Unterhaltungsliteratur« wegschmeißen, läge mir das Wegschmeißen — auch noch so dubioser — Bücher nicht völlig fern! Ich habe nicht einmal die Mao-Bibel (eine Verirrung aus frühen Jugendtagen) in den Müll geworfen, obwohl die es sicher verdiente ... oder vielleicht doch nicht: ihre Lektüre bewahrte mich immerhin schon als 14-jährigen vor der Infektion durch jene tückische Zeitgeisteskrankheit, die man gemeinhin »Alt-Achtundsechzigertum« oder »Linksintellektualismus« nennt. So gesehen habe ich sie zwar nicht mit Genuß, wohl aber mit Belehrung gelesen — wenn auch einer von Mao unintendierten. Aber das nur nebenfüglich …

Doch zurück zu Fernau. Wiki »informiert« uns jedenfalls brav weiter:
Seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre kam es zu vermehrter Kritik an Fernaus Haltung zum Nationalsozialismus. Otto Köhler schrieb 1966 eine Satire für pardon, in der er einen fiktiven Dialog zwischen Joseph Goebbels und Fernau wiedergab: Goebbels habe Fernau den Auftrag zu einem großen historischen Werk über Deutschland gegeben, das (so die Satire Köhlers) erst nach 1945 habe erscheinen können. Zu diesem Zeitpunkt war Köhler der zitierte Artikel im Völkischen Beobachter noch unbekannt. 1967 ordnet Peter Wapnewski den „Endsieg-Text“ aus dem Völkischen Beobachter in der Wochenzeitung Die Zeit in das Werk Fernaus ein und wertete ihn als „schändlichsten Durchhalteartikel dieses Krieges“. Er forderte Fernau auf, „das Handwerk des Schreibens zu lassen, die Kunst der Prophetie aufzugeben, vor der Geschichtsdeutung zu kapitulieren, das eigne Volk mit Bestandsaufnahmen künftig zu verschonen“. „Unbildung“, „schauderhaften Geschmack“, „Instinktlosigkeit“ und „Geschichtsfälschung“ warf Wapnewski Fernau vor.

Fernau antwortete in der Zeit, Propaganda sei nun eben sein Auftrag gewesen, und führte aus: „Das liegt nur 23 Jahre zurück. Aber wenn man jemand ‚fertig’ machen will, muß man weit ausholen, nicht wahr? […] Berufsverbot, Bücher verbrennen – oh pardon, jetzt bin ich aus Gründen der Ähnlichkeit in die falsche Spalte gekommen. Mein armer, mein furchterregend-deutscher Richter!“
Wapnewski & Consorten ist diese Ähnlichkeit nicht aufgefallen. Man kann es bei ihnen noch mit ideologischer Verblendung aus der Zeit gährender Studentenrevolten wenn schon nicht entschuldigen, so doch erklären. Aber zur Zeit des Wiki-Artikels lagen diese Unsinnigkeiten doch schon Jahrzehnte zurück, und doch ist es noch immer die selbstgerechte Inquisitoren-Pose, in die man sich wirft! Die »Guten« lernen’s halt nie …

So viel auch seitens der Splitterrichter mit erblindetem linken Auge (wie sehr haben doch dieselben »Literaturkritiker« die offiziellen DDR-Schriftstellergenossen hofiert, die Christa Müllers und Hermlins, und wie sie alle hießen …) an Fernau herumgenörgelt werden mag: wer je ein Buch von ihm gelesen hat, wird bestätigen, daß die Treffsicherheit des Autors, Sachverhalte so auf den Punkt zu bringen, daß man sie nicht wieder aus dem Gedächtnis verliert, geradezu einzigartig genannt werden muß. Und da die deutsche (Fach-)Literatur voll ist von Büchern, die gestelzt und unverständlich-verworren um den Brei herumreden, wäre allein das schon eine Leseempfehlung für diesen — wie könnte es anders sein! — »umstrittenen« Autor.

Was immer er in seiner Zeit als kriegsverpflichteter Wehrmachtsreporter geschrieben hat (und daß darunter auch mehr als dubiose Durchhalteartikel waren, wird nur den verwundern, der die nicht weniger dubiosen Durchhalte- und Anfeuerungsartikel auf sowjetischer und westalliierter Seite nicht gelesen hat! Von den infamen Haßtiraden bspw. eines Ilja Ehrenburg ganz zu schweigen, gegen die sich alles aus Fernaus damaliger Kriegsreporter-Feder wie ein humanistisches Manifest liest …) — was, bitteschön, hat das mit seinen späteren Werken als geistvoll-brillanter Sachbuchautor zu tun?

Sein fast gleichaltriger »Kollege« Genet war — nach vielen vorangegangenen Gefängnisaufenthalten — wegen Raubes, Zuhälterei, Geldfälschung, Drogenhandel und Vergewaltigung schließlich zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt (und wurde dann nur auf Intervention diverser französischer Schriftstellerkollegen begnadigt), und wird trotzdem als bedeutende Figur der französischen Literatur gepriesen (von dem, was ich von ihm kenne, nicht viel, zugegeben, ist mir freilich diese Lobhudelei nicht nachvollziehbar) — und da soll ein ehemaliger Verfasser von Kriegs-Durchhalteartikeln auf einmal der Verächtlichere, nein: der allein Verächtliche der beiden sein? Bloß, weil der andere zwar ein Schwerverbrecher, aber doch ein linker Schwerverbrecher war? Sorry, bei unseren Meinungsmachern piepst’s doch kräftig!

Es bleibt die Hoffnung, daß, so festgefügt manches scheint, es im Fluß der Geschichte nie gewesen ist. Wie ein Gletscher scheint sie aus festem Material zu bestehen, und fließt dennoch unaufhörlich. Vielleicht beende ich daher den Artikel mit den letzten Sätzen aus »Rosen für Apoll«:
Heute, nach zweitausend Jahren, halten wir nur noch Scherben in der Hand. Auf jeder steht unsichtbar das Wort Pindars: Von einem Schatten der Traum ist der Mensch.
Radio-Antennen ragen zur Akropolis hinauf, Autos knirschen über den Schutt von Sparta. Das Lachen der Götter ist verstummt, die Syrinx des großen Pan verklungen; die Spiele der bösen Buben sind vorbei, die erhobenen Hände der Paides niedergesunken. Wo ist Solon, wo ist Themistokles? Wo ist Kimon, wo Agesilaos? Wo Platon?
So, meine Freunde, Gefährten meiner Trauer, so wird man einst — hoffentlich auch mit dem Zeichen der Liebenden in der Hand, mit Rosen — bei unserer Geschichte fragen: Wo blieb Otto der Große, wo blieb Goethe, wo Bismark?
Ja, wo …
Wo, meine Freunde, wo …
Darf ich eine Antwort wagen?

Im Reich der Erinnerung derer, die sich zu erinnern wagen. So wenige das bisweilen (bspw. heute) auch sein mögen …

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich selbst bin auch in Fernaus Bücher vernarrt.

Vor 5 Jahren organisierte Herr Kubitschek (sezession.de) bzw. das IfS in München Bogenhausen auf dem Haus der Danuben eine wunderschöne Veranstaltung zu Ehren Fernaus, wo auch seine betagte Witwe uns mit ihrem Besuche beehrte. Davor hatte ich sein Grab auf dem Bogenhausener Friedhof besucht und den zahlreichen Sträußen einen zugefügt.
Es war einer jener Tage (das Wetter war ebenfalls golden) und eine Veranstaltung, die man im Leben nicht missen möchte.

Danke für die Erinnerung an Joachim Fernau!

Kreuzweis

eulenfurz hat gesagt…

Dank auch von meiner Seite für die Erinnerung an den begnadeten nonchalanten Nähkästchenplauderer, dessen Erzählungen aber auch immer einer tieferen Erinnerung und Weisheit folgen, wohingegen alle Ergüsse sogenannter Literaturkritiker sich ausnehmen wie ein Schluck aus dem Jauchefaß.

Ach, und übrigens schwelgten wir drei vor 5 Jahren ebenso in Erinnerungen:

http://eulenfurz.wordpress.com/2009/09/11/fortschrittswahn/