Samstag, 19. April 2014

Gedanken zum Karsamstag: »... absterget Deus omnem lacrimam ...« (Fortsetzung)

Leider nötigte mich ein dringlicher »Hilferuf« meiner Frau (wir erwarten Gäste für morgen, und da ist manches vorzukehren ...), meine Arbeit am Artikel zu unterbrechen — und jetzt, wo ich sie wieder aufnehmen kann, ist bereits die Dunkelheit der Osternacht hereingezogen. Nun auch das paßt für die Betrachtungen über den Tod und die schalen Tröstungen nicht so schlecht ...

Der vor einigen Jahren verstorbene schwarzhumorige österreichische Chansonier Georg Kreisler hat 1971 in einer das Publikum geradezu verstörenden Nummer »Der Zweck der Kirche« deren einzige Aufgabe darin gesehen, für die Toten und für den Tod dazusein. 



Da waren keine verblüffenden Wortspiele, keine schmissig-schmalzig-falsche Melodik, sondern nur ein karger Dialog, der Abgründe ahnen ließ. Nun, Georg Kreisler wird inzwischen wissen, ob die Beschäftigung mit dem Tod notwendig, sinnvoll und wünschenwert ist. Oder eben nicht wissen (was auch Atheisten nicht wissen, sondern höchstens glauben können). Umso mehr verblüfft es mich in der praktischen Erfahrung mit Todesfällen, daß »die Kirche«, d.h. ihre Amtsträger, eigentlich meist nicht wirklich gerüstet sind für diesen »Todesfall«, und eher ein typischer Landarzt, der »sowas« nicht gerade routinemäßig (wie das Pflegepersonal eines Altersheimes), aber doch mit hinreichender Häufigkeit miterleben muß (und darf), einen gesunden Sinn dafür entwickelt, wie hier zunächst mit dem Sterbenden, und dann mit den Hinterbliebenen umzugehen ist. Wo ist hier also die erwartete »Expertise« der Kirche?

Ein älterer Herr Prälat gestand mir einst, er sei noch bei keinem einzigen Todesfall dabeigewesen (seine Eltern lebten damals, hochbetagt, noch), denn zur letzten Ölung werde man als Priester meist erst im letzten Moment, d.h. eigentlich zu spät gerufen (wenn überhaupt noch), und so beschränke sich seine praktische Erfahrung auf die Begräbnisse, die er, wie alle Priester seiner Stadt, "turnusweise" zugeteilt bekäme. Sieht so also der »Zweck der Kirche« aus — irgendwelche Riten bei Beerdigungen durchzuführen?

Als mich ein Todesfall in meiner nächsten Verwandtschaft betraf, erhielt ich ein Kondolenzschreiben eines lieben Bekannten (um einiges religiöser als ich gestimmt, noch wichtiger aber: in unseren häufigen Diskussionen mit einem untrüglichen Sinn für Ehrlichkeit und Seriosität in der Argumentation begabt), der mir schrieb:
In Situationen wie dieser wirken die meisten Worte schal; aber ich möchte Ihnen doch sagen, dass ich in den vergangenen Wochen oft an Sie gedacht habe.
Vor fünf Jahren, als erst mein Bruder, dann mein Vater und dann drei Freunde starben, habe ich mich manches Mal gefragt, ob der Glaube, den ich bekenne, eigentlich trägt; eine Antwort habe ich nicht gefunden — wir wissen ja wirklich nichts....
In der Tat: wir wissen nichts. Und es war tröstlicher für mich, dieses ehrliche Bekenntnis zu lesen, als eine vermeintlich tröstliche »Glaubensgewißheit« vorgesetzt zu bekommen, die ich entweder als konventionelle Floskel, oder als frommen Selbstbetrug ansehen müßte.

Denn auch nur mit ein wenig kritischem Verstand betrachtet, sind die gängigen Tröstungen in Wahrheit keine. Welche »Trost« soll mir eine Auferstehung Christi vermitteln, wenn mich ein schreckliches Geschick meiner Frau, meiner Eltern, meiner Kinder beraubt hat? Denn selbst wenn Christus auferstanden ist — verheißt es (außer in phantasievollen Konstruktionen paulinischer Theologie) etwa deshalb, daß auch der Tote, der mir als Lebender teuer war, aufersteht? Und wenn auch — was »tröstet« mich hic et nunc daran?

Und es tröstet noch weniger, wenn Tod und Auferstehung Christi — wie in der kirchlichen Theologie üblich — nicht als Symbol für ein gemeinsames Geschick (und eine gemeinsame Hoffnung) der Menschen dargestellt werden, sondern als historische Ereignisse, die, wären damals Kameras schon erfunden gewesen, von einem zufällig vorbeikommenden Photojournalisten aufgenommen hätten werden können. Was den Abstand (und damit die »Trostlosigkeit«) zwischen  »der ist auferstanden« und »die anderen bisher nicht« ins Unermeßliche steigert. 

Das letztliche Verstunmen der Kirche im Angesicht des Todes ist freilich keine Sonderheit — unsere ganze Gesellschaft tabuisiert das Sterben, den Tod in nie dagewesener Weise, und macht sich dabei nicht bewußt, welche Last sie damit jedem einzelnen aufbürdet, der daher jegliche Todeserfahrung erstmals ... am eigenen Leib erleben wird!

Wie geht nun einer der »traditionellen Widersacher« der Kirche, die Freimaurerei, mit dem Thema um? Im Schröder'schen Ritual wird nach der Vollziehung der Erhebung in den Meistergrad folgende »Erläuterung der Erhebung« verlesen:
Mein Bruder! Sie sind es gewohnt, unsere Bruderschaft symbolisch und allegorisch handeln zu sehen, und vermutlich erwarten Sie, mit neuen Symbolen und Allegorien bekannt gemacht zu wer­den. Der Tempel, an dem wir bauen, hat Stufen. Sie führen zur Erwerbung der Eigenschaften, die der Königlichen Kunst gemäß sind und ohne die man bei diesem Bau nicht als Meister angestellt werden kann.
Was Sie heute erfuhren, sollte Ihnen die Bedeutung dieses Schrittes verdeutlichen: es ist die Meisterschaft des Freimaurers, zu der Sie erhoben wurden. Sie ist die letzte und höchste Stufe der Freimaurerei und setzt das Bemühen des Freimaurers voraus, in allen Tugenden, die ihm eigen sein sollen, die größtmögliche Vollkommenheit zu erreichen.
Auf  Ihrer Wanderung trat Ihnen das düstere Bild des Todes entgegen. Des Meisters Stimme mahnte Sie dreimal, des Todes eingedenk zu sein. Nach der belebenden und freudvollen Arbeit im Kreise der Gesellen sollten Sie als Meister nun wieder auf sich selbst zurück­gewiesen und mit dem Gedanken bekannt gemacht werden, der dem menschlichen Streben das letzte Ziel setzt, den höchsten Grad der Läuterung: mit dem Gedanken an den Tod.
Erinnern Sie sich wohl: jäh wurde nach der Wanderung Ihr Auge uns zugewandt. Sie sahen uns in Trauer gehüllt und erblickten zu Ihren Füßen die Behausung des Todes. So tritt der Tod düster und freude­raubend in das bewegte Leben hinein und ruft uns gebieterisch zu: Bis hierher! Trauer über seine Härte und Unerbittlichkeit erfüllt unsere Seele. Weil der Tod uns plötzlich überraschen und unserem irdischen Streben ein Ziel setzen kann, muß der Meister mit ihm vertraut und auf ihn vor­bereitet sein.
Mit drei Schritten über den Sarg begaben Sie sich nach Osten, mein Bruder. Geburt, Leben und Tod sind die drei Schritte zum ewigen Dasein, von dem wir hoffen, daß es uns an das hier nicht erreich­bare Ziel der wahren Vollkommenheit bringen möge. Es ist unser Auftrag, uns hier soweit wie mög­lich diesem Ziele zu nähern. Die Erfüllung Ihrer Pflichten wird Ihnen nicht immer leicht ge­macht werden.
Machen Sie sich auf schmerzhafte Erfahrungen gefaßt. Der Meister muß bereit sein, auch den Tod ob seiner Meisterpflicht auf sich zu nehmen. Um diese Lehre sich zu eigen zu machen, mußten Sie selbst handeln und gleichsam den Tod Hirams an sich selbst erdulden. Sie wurden Hirams lebendi­ger Sohn! Denn Sohn heißt Nachfolger, Fortsetzer des Werks; dazu wurden Sie bei Ihrer Auf­hebung durch das gesprochene Wort feierlich erklärt. Auch Sie sollen Ihr Leben nicht achten, wenn Ihre Pflicht und die Sorge fur Ihre Brüder es von Ihnen als notwendiges Opfer fordern.
Aber auch unsere Hoffnungen deutete die allegorische Handlung an. Statt des Erschlagenen wurde ein Lebender aufgehoben. Ein neuer Meister tritt an Hirams Platz, zwar noch nicht fähig, ihn uns zu ersetzen, aber bereit, es mit Eifer dahin zu bringen.
Durch seinen Baumeister Hiram ließ Salomo den Arbeitern ihre Plätze und ihren Lohn beim Tempelbau anweisen. So auch sind jedem Menschen in dieser sichtbaren Welt sein Wirkungskreis und der äußere Lohn seiner Arbeit bestimmt. Aber stolzes Selbstvertrauen, Dünkel, Selbstsucht und Mißgunst, ungebändigte Genußsucht stören die Ordnung der Natur und wollen gelten und wirken, was sie nicht können und sollen. Die Gesellen forderten ohne Recht das Wort und den Lohn der Meister. Drei Aufrührer gaben der Menschenwürde drei Todesstoße. Durch sie warden Wahrheit, Recht und Bruderliebe verletzt. Das Verbrechen siegte über den Gerechten. Sollten wir mutlos werden, weil es zuweilen siegt?
Ein neues Meisterwort tritt an die Stelle des vielleicht verratenen, also für verloren erachteten: eine neue Verbindung der Edlen entsteht und wird tätig.
Ihre Aufhebung, mein Bruder, geschah nach zwei vergeblichen Ver­suchen. Denn jeder Zweck wird verfehlt, werden die unrechten Mittel dazu angewendet. Aber sie gelang durch die fünf Meister­punkte. Keine Schwierigkeiten sollen uns abschrecken, über Vor­urteil und Laster die Übermacht zu erringen. Unsere Schwäche, Mißtrauen in eigene Kräfte, Furcht vor dem Ausgänge halten uns vom Kampf gegen das Böse oft ab. Aber wir finden Freunde, die uns Mut einflößen, die uns ihren Bei­stand widmen, mit uns Hand an das Werk legen, und wir erheben uns in schöner Menschen­würde, tätig zu sein mit unseren Brüdern.
So wurden Sie erhoben: Fuß gegen Fuß und Knie gegen Knie ist unser Widerstand nur einer. Hand in Hand: Wir wirken gemeinschaftlich; wo des Einen Kraft nicht ausreicht, da soll die Hand des Bruders ihn unterstützen. Brust an Brust, den Arm um den Nacken des Bruders, trennt keine Gewalt die fest Vereinten. Der Bund ist unauflöslich geschlossen. Die Meistertugenden bestehen in Rein­heit des Herzens, Wahrheit in Worten, Besonnenheit in Handlungen, Unerschrockenheit bei unver­meid­lichen Übeln und in unermüdetem Eifer, überall das Gute zu schaffen und zu fördern.
Beweisen Sie, mein Bruder, wie Hiram meisterliche Standhaftigkeit und Seelen­größe im Unglück und in Gefahren, und lassen Sie sich durch nichts von dem Pfade der Pflicht, der Wahrheit und Gerechtigkeit ablenken.
Gehen Sie von nun an den Gesellen und Lehrlingen sowohl in Treue und Eifer für den Bund als auch in der Erfüllung aller maurerischen Tugenden voran! Und der edelste Lohn harrt Ihrer: ein gutes Gewissen. Hören Sie auch als Meister nicht auf, sich selbst zu prüfen und mehr und mehr zu erkennen. Seien Sie ein Meister unter uns in der Tat und in der Wahrheit.
Der große Baumeister segne Ihren heutigen Schritt und lasse ihn heilsam sein für Sie und unseren Bund!
Ein eindrucksvoller Text, wird jeder bestätigen, der nicht schon beim Wort »Freimaurer« Schaum vor dem Mund stehen hat! Wenn man den »Jargon« der Maurerei wegläßt, also die Verweise auf den Tempelbau und die Hirams-Legende (in all ihrer rätselhaften Schönheit), die Mahnung zur Pflege der »maurerischen Tugenden« (in der Realität oft nur Lippenbekenntnisse, oft nicht einmal das!) etc. — was bleibt dann? Was bleibt, ist sicher der Gedanke eines helfend zur Seite stehenden Bundes von Gleichgesinnten, also: der Freundschaft.

Und hier darf ich den Schluß jenes Kondolenzschreibens nachtragen, der mich damals tief berührt hat:
[wir wissen ja wirklich nichts....] Aber  d i e s  meine ich doch zu wissen: dass Freundschaft eines der wenigen Dinge ist, für die es sich zu leben lohnt. Und die so unwahrscheinliche Freundschaft mit Ihnen zählt ausdrücklich dazu.
 Ostern als »Fest der Freundschaft«? — ein aufs erste Hinsehen ungewohnter Gedanke ... und doch: »Vos autem dixi amicos« (Jo 15,15) läßt das Johannes-Evangelium Jesus in seinen Abschiedsworten vor der Passion sprechen. Eine Freundschaft, die darauf beruhe, daß Jesus alles, was er von Vater erfahren, auch uns mitgeteilt habe. Ein Gedanke übrigens — und das wird die nicht-religiöse Fraktion meiner Leser erfreuen — den (zwar völlig anders, doch nicht unvergleichbar) schon Epikur in seinem berühmten Zitat »Die Freundschaft umtanzt den Erdenkreis, uns allen verkündend, daß wir zum Glück erwachen sollen« äußerte.

Also bitteschön! Karsamstag, Kreisler, dann Freundschaft, die Freimaurer und jetzt noch Epikur! Wohin soll das noch führen ...! Lassen wir's also genug sein! Und bevor ich in die Osternacht aufbreche, daher in diesem Sinne:


Gesegnete Ostern!

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Er war Zimmermann - darum beten sie das heilige Holz an. Wäre er Schuster gewesen, würden sie wohl das heilige Leder anbeten...

Grob zitiert nach Kelsos von Alexandria -

Le Penseur hat gesagt…

Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich, und nicht jedes Zitat eine geistige Bereicherung, würde ich sagen ...