Sonntag, 25. August 2013

»Die Wurzeln des Abendlands«

... betitelt sich ein lesenswerter Artikel von Adrian Lobe in der »Wiener Zeitung«. Nicht, daß LePenseur jeden Satz des Artikels genau so (unter-)schreiben würde — aber lesenswert, v.a. für die in libertären Kreisen nicht eben seltenen Vulgär-Atheisten, die beim Wort »Gott« schon nässende Hautausschläge bekommen (oder sie wenigstens zu bekommen vorgeben), ist er allemal:
Im Schatten von Staatsverschuldung, Euro-Krise und nationalen Populismen schwelt in Europa ein tiefgreifender Konflikt: Religion versus Säkularität. Europa sollte sich zu seinen religiösen Fundamenten bekennen. Ein Plädoyer.

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) werden derzeit von einer beispiellosen Klagewelle überrollt, die die Religion und Säkularität zum Gegenstand hat. Die Sachverhalte sind grundverschieden: Darf eine Fluggesellschaft einer Flugbegleiterin das Tragen eines Kruzifixes untersagen? Können britische Standesbeamte unter Berufung auf die Religions- und Glaubensfreiheit von der Pflicht zur Trauung gleichgeschlechtlicher Paare entbunden werden?

Es geht hier zunächst im rechtstechnischen Sinne, ganz profan, um eine Güterabwägung zwischen positiver bzw. negativer Religionsfreiheit und staatlicher Neutralitätspflicht. Das medial großes Aufsehen erregende Urteil des Europäischen Gerichtshofs über die Präsenz des Kruzifixes in Klassenzimmern berührt denselben Problemkreis. Doch hinter der Judikatur geht es um etwas viel Grundsätzlicheres: Wie positioniert sich Europa, das sich gerne als Wertegemeinschaft begreift, zur Religion?

Im Jahre 1463 veröffentlichte der böhmische König Georg von Podiebrad seine Abhandlung über einen Frieden für die gesamte Christenheit (Tractatus pacis toti christianitati fiendae). Die Idee war es, die Christen des Kontinents in einer Friedensgemeinschaft zu einen. Der Föderationsplan, der die Einrichtung eines Parlaments, Gerichtshofs und einer gemeinsamen Währung vorsah, gilt als eine der ersten ideengeschichtlichen Begründungen Europas. Man staunt heute über die Aktualität des Dokuments.

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Ein Aspekt — der im Artikel zwischen all den anderen Informationen leicht übersehen werden kann — ist es besonders, der aufhorchen läßt, der aber heute gerne völlig übersehen wird:
Die Scholastik war der Kristallisationspunkt des modernen europäischen Denkens. Eine Aufklärung geschah nur dort, wo es eine Scholastik gegeben hatte. Dies war weder im Islam noch im orthodoxen Christentum der Fall. Russland leidet bis heute darunter und ist wohl auch deshalb anfällig für eine verknöcherte Marxismus-Orthodoxie, die im freien Europa niemals Fuß fasste.
Nun ist die klassische Scholastik »an und für sich« — wenigstens für LePenseur — ein schwer zu ertragendes Glasperlenspiel; ein Status, in den zurückzufallen wahrhaft »mittelalterlich« (im schlimmsten Sinne des Wortes) wäre. Aber machen wir uns bewußt, daß diese Methode des ständigen Diskurses mit Plausibilitätsargumenten (also im Grund eine »juristische« Diskussionsmethode) nicht nur ziemlich einzigartig für das westliche Europa ist, sondern eben auch notwendige Voraussetzung für die Entwicklung einer Aufklärung, und damit: der für uns so selbstverständlich vorausgesetzten »freiheitlich-demokratischen Grundordnung«. Die in all jenen Kulturkreisen (auch christlichen!), in denen ersteres fehlt, auch letzteres sich als in Sand gesätes Projekt erweist, das jämmerlich vertrocknet, sobald die künstliche Bewässerung eingestellt wird.

Wer durch bewußtes Verschweigen und Geringschätzen dieser kulturgeschichtlichen Wurzeln ein lupenrein »säkulares« Europa konstruieren will, wird bei uns genau denselben Effekt erzielen, wie er beim unreflektierten »Demokratie-Export« anderswo längst unübersehbar ist: eine reine Verfahrensregel (wie z.B. die Abhaltung von geheimen Wahlen) ist zwar notwendiges, nicht aber hinreichendes Ingrediens einer zeit- und zweckgemäßen Gesellschaftsordnung! »Wahlen« in Ägypten, dem Iran, der Türkei, aber eben auch in Ost- und Südosteuropäischen Ländern (ganz zu schweigen von Ost- und Südostasien), zeigen uns mit großer Deutlichkeit: es ist eben nicht das Verfahren, sondern der dahinter stehende, unaufgeklärte Geist, der die Ergebnisse aus unserem Blickwinkel so unbefriedigend ausfallen läßt. Und wer bei uns den Geist der Aufklärung auf einen banalen Säkularismus reduziert, wird — vielleicht nicht sofort, aber in absehbarer Zeit — dasselbe »Diskursvakuum« herstellen, das andernorts immer schon herrschte, und damit früher oder später genau das vernichten, was er durch »weltanschauliche Neutralität«, »Laizismus«, »Säkularismus« (und wie die Etiketten alle lauten mögen!) erst so wirklich sicherzustellen glaubte.

Wer das übersieht, der belügt sich selbst. Was in der westlichen Welt freilich eine — aus Bequemlichkeit und/oder Feigheit — durchaus beliebte Reaktion auf Probleme darstellt ...

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