Donnerstag, 3. Januar 2013

Repräsentative Demokratie

Unter der Schlagzeile »Mehr Frauen, mehr Katholiken, mehr Vielfalt« berichtet »Die Presse« (selbst! Dieses Mal ausnahmsweise keine APA-Abschreibübung — das verdient in Zeiten wie diesen schon eine gesonderte Erwähnung!) über den heute zusammentretenden neuen US-Kongreß. Sogleich erfahren wir, worauf es ankommt, will ein Parlament von unseren Medien ernstgenommen werden: nicht etwa erfolgreiche Wirtschaftstreibende, die für ökonomischen Sachverstand sorgen könnten, sind da erwähnenswert, oder führende Wissenschaftler und Techniker, die die teils verlorene, teils stark gefährdete Spitzenposition der USA auf diesem Gebiet wieder betonen könnten, auch nicht etwa hochkarätige Juristen, die die ebenso ausufernde wie verluderte Gesetzgebung auf Vordermann brächten — weit gefehlt! Worauf es ankommt ist vielmehr:
Eine mehrfach amputierte, frühere Kampfhubschrauberpilotin, in Bangkok geboren, eine vegetarische Hinduistin aus Hawaii, für ihren Kampfeinsatz im Irak hochdekoriert, eine in Japan geborene Buddhistin, die erste lesbische Senatorin, der erste bekennende homosexuelle Schwarze: Sie alle gehören dem 113. Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika an, der heute, Donnerstag, erstmals zusammentritt.
Na klar: die werden die USA endlich wieder auf Erfolgspfad bringen! Wer braucht Budgetdisziplin, wen kümmern Leistungsbilanzdefizite und etatistischer Wildwuchs, wenn die Veggies, Schwuchteln und Lesben kommen (mit und ohne Kampf- ...)!

So, wie es ja auch nicht darauf ankam, welche krausen Inhalte (und noch viel mehr: welche gähnenden Krater an Inhaltslosigkeit) von Schokobama in seinen Wahlkampfreden verbreitet wurden, sondern daß es an der Zeit ist, endlich einen Mulatten im Weißen Haus zu haben. Was etwa so intelligent ist, wie wenn ein Mann Merkels Wiederwahl mit dem Argument unterstützte, sie sei schließlich eine Blondine, und: »Gentlemen Prefer Blondes«...

»Die Presse« findet freilich auch an den Abgeordneten und Senatoren, die »Amerikas bunter Gesellschaft mehr als ihre Vorgänger« entsprächen, noch immer was auszusetzen:
Am deutlichsten weicht der neue Kongress bei den Konfessionslosen, Atheisten und Agnostikern vom amerikanischen Volk ab. Rund ein Fünftel der US-Bürger erklärte im Herbst in einer Pew-Umfrage, keiner Konfession anzugehören oder überhaupt atheistisch zu sein. Doch bei der Befragung der neuen Mandatare erklärte nur die Demokratin Kyrsten Sinema aus Arizona, keiner Konfession anzugehören.
Nun, das sind eben die Nachteile eines Mehrheitswahlrechts, daß auch eine Minderheit von 20% faktisch unvertreten bleiben kann. »Die Presse« glaubt aber fälschlicherweise, daß diese statistische Schwankung die signifikanteste im Kongreß sei! Denn diesem gehören (so wie schon bisher, wenngleich mit Ron Paul als wichtiger Ausnahme!) wieder weitaus überwiegend halb- bis vollkriminelle Gestalten an, sodaß die vielen anständigen Amerikaner deutlich unterrepräsentiert sind — die zwar Steuern zahlen dürfen, oder in Kriegen sterben, aber von echter Beteiligung an der politischen Willensbildung durch die perfekt geschmierten Parteiapparate der beiden US-Systemparteien faktisch ausgeschlossen sind.

Ist es verwunderlich, daß einem Organ der Systempresse so etwas nicht der Erwähnung wert erscheint, ja vermutlich nicht einmal aufgefallen sein wird ...?

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