Freitag, 3. Februar 2012

Wer sich wiederbetätigt, und wer nicht ...

... das zu analysieren ist in Österreich ein überaus aufschlußreiches Unterfangen. So ist es — nach Ansicht einer bekannt unparteiisch agierenden Leitung einer Religionsgemeinschaft — NS-Wiederbetätigung, wenn sich jemand, der am Weg zu einer Ballveranstaltung miterleben kann, daß Ballgäste durch teilweise vermummte »Demonstranten« angepöbelt, gegen die Mauer gedrängt, gerempelt und getreten werden, der weiters erfährt, daß Polizisten von besagten »Demonstranten« verletzt wurden, und bei diesen eine Bombe beschlagnahmt wurde — wenn sich also so jemand durch solche Geschehnisse zur Aussage, dies erinnere ihn an die Reichskristallnacht, bewogen fühlt (oder besser: angeblich bewogen fühlt, denn der Satz steht nur durch die Aussage eines under-cover agierenden Zeitungsscribenten im Raum).

Denn man könne doch solche lächerlichen Kleinigkeiten wie Bomben, verletzte Polizisten und beschimpfte, bedrängte und bedrohte Ballbesucher keineswegs mit den Greueltaten der Nazis vergleichen, dies sei eine Verharmlosung ihrer Unrechtsherrschaft usw. usf. ...

Wenn hingegen im Jahr 2004 der damalige Vorsitzende der SPÖ und spätere Bundeskanzler Gusenbauer über die infolge einer Äußerung eines SPÖ-Abgeordneten höchst erregte Parlamentsdebatte den Satz formulierte: »Zum Zeitpunkt dieser Äußerung herrschte im Plenum absolute Progrom-Stimmung« — dann ist mir nicht erinnerlich, daß irgendjemand darin eine Verharmlosung des NS-Unrechtsregimes sah und Gusenbauer deshalb nach dem Verbotsgesetz angezeigt hätte, obwohl dem historisch durchschnittsgebildeten Normalbürger der Unterschied zwischen, beispielweise, den Vorgängen des Jahres 1943 im Warschauer Ghetto und einer Nationalratsdebatte im Jahr 2004 doch unschwer ersichtlich sein sollte.

Mir ist auch nicht erinnerlich, daß in den 1970er-Jahren, als die Ermittlungen von Simon Wiesenthal die recht peinliche NS-Vergangenheit einer Reihe von SPÖ-Ministern und des für eine Koalition von Bruno Kreisky »in petto« gehaltenen damaligen FPÖ-Chefs Friedrich Peter zu Tage gefördert hatten, besagter Kreisky, als er Wiesenthal als »Gestapo-Kollaborateur« bezeichnete (obwohl Wiesenthal selbst als KZ-Insasse ein Opfer des Nationalsozialismus war) und sich zum Satz verstieg »Wenn die Juden ein Volk sind, dann ein mieses« je wegen Verstoßes gegen das Verbotsgesetz belangt wurde. Wiesenthal klagte Kreisky damals wegen Verleumdung. Und der jetzt wegen seiner Ordensverweigerung in den Medien als tapferer »Antifaschist« hochgelobte Bundespräsident Fischer, drohte als Chef der SPÖ-Parlamentsfraktion, Simon Wiesenthal mit der Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, um seine »üble Tätigkeit in aller Öffentlichkeit bloßzulegen«, falls er seine Klage nicht zurückziehe.

Auch wenn grüne Tierschützer die Hühnerhaltung in Aussendungen mit der Situation von KZ-Häftlingen vergleichen (z.B. ein Aufkleber des Vereins der Tierbefreier Österreichs, auf denen ein Bild eines Huhns aus der Legebatterie überschrieben ist mit: »Für Sie im KZ«, oder auch eine Wanderausstellung mit dem Titel »Der Holocaust auf Ihrem Teller«), dann ist wegen eines Verstoßes gegen das Verbotsgesetz keine Rede. Der »erkennende Senat« des Obersten Gerichtshofes übt sich hier in subtilen Differenzierungen:
Der erkennende Senat verkennt nicht, dass die bekämpfte Kampagne zugunsten des Tierschutzes durchaus als pietätlos, geschmacklos, überzogen und sogar als unmoralisch beurteilt werden kann. Beim zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch kommt es aber auf die Rechtswidrigkeit an, die - wie ausgeführt - ein Überwiegen der Interessen der Kläger im Rahmen der Interessenabwägung voraussetzte. Ein Wertungsexzess, dem der Gedanke des Rechtsmissbrauchs innewohnt, könnte zwar allenfalls dann bejaht werden, wenn das mit der Kampagne verfolgte Ziel von geringer Bedeutung wäre, sodass das Mittel dazu in einem krassen Missverhältnis stünde, oder aber die Vergleichsgrundlagen (die Sachverhalte) so differierten, dass von einem thematisch völlig verfehlten („an den Haaren herbeigezogenen") Vergleich gesprochen werden könnte. Beides liegt hier nicht vor. Die schockierende Wirkung der Fotomontagen ist zum Großteil vom Thema vorgegeben (durch Menschen brutal verursachtes Leid anderer). Die Heranziehung eines drastischen Vergleichs dient einem grundsätzlich erlaubten Zweck, nämlich in einer von Werbung reizüberfluteten Gesellschaft Aufmerksamkeit für ein Anliegen zu erzielen. Das Tierschutzanliegen selbst ist - wie ausgeführt - gewichtig, gesellschaftspolitisch umstritten und aktuell (vgl die Tierschutzgesetzgebung aus der jüngsten Vergangenheit). Aus den dargelegten Gründen ist eine exzessive Meinungsäußerung zu verneinen.
Na klar! Eine »exzessive Meinungsäußerung«, nein: ein Verstoß gegen das Verbotsgesetz wegen »Verharmlosung des Nationalsozialismus« liegt selbstmurmelnd nur vor, wenn von linken, vermummten Schlägerbanden terrorisierte Ballbesucher sich dadurch an die Behandlung von Juden durch Nazibanden erinnert fühlen. Ist es »pietätlos, geschmacklos, überzogen«, darin möglicherweise eine kitzekleine Ungleichbehandlung zu erblicken ...?

2 Kommentare:

Nescio hat gesagt…

Ja, die selektive Anwendung der Gesetze.

Das Phänomen zieht sich durch alle totalitären Systeme im Laufe der Menschheitsgeschichte hindurch:

Wer einmal zum/zur Staatsfeind/Volksfeind/Klassenfeind/Hexe/Ketzer/Sündenbock/Konterrevolutionär/Abweichler/Bourgeois/Kulaken/Vogelfrei/Proskribierten...
erklärt wurde, dem wird aus allem, was er sagt und tut, ein Strick gedreht. Aus ALLEM.

Im Alten Testament ist die Geschichte vom Sündenbock interessant: Man überträgt alles Böse, das man selbst getan hat, oder andere innerhalb der Gemeinschaft getan haben, symbolisch auf einen (oder mehrere) Außenseiter. Der ist dann schuld. An allem. Den jagt man fort, oder tötet man. Und dann fühlt man sich besser. Das Gemeinschaftsgefühl ist danach auch toll: "Wir sind die Guten."

Der Herr Alipius hat gesagt…

Zweierlei Maß...

Es ist mittlerweile ja Standard, aber gewöhnen werde ich mich daran nie, und ich bin immer ganz dankbar, wenn solche Geschichten nicht in Vergessenheit geraten. Also: Danke!