Sonntag, 22. Mai 2011

Wenn Theologen über das Thema »Armut« schreiben

... dann kommt zumeist ein wirtschaftlich unbedarfter, dafür salbungsvoll bis gutmenschlich akzentuierter Mumpitz heraus. Aus gegebenem Anlaß — Priesterweihe eines Bekannten — nahm ich nach längerer Zeit wieder einmal Eugen Drewermanns Buch »Kleriker. Psychogramm eines Ideals« (dtv, Olten ²1992) aus dem Regal, um in dieser bemerkenswerten (wenngleich für die Betroffenen vermutlich nicht eben willkommenen) Analyse des Klerikerberufes zu blättern — und wurde durch seinerzeit irgendwie überlesene (oder inzwischen nachhaltig vergessene) Passagen belohnt, in denen Drewermann grundvernünftige Aussagen über die Armut und ihre (verbale) Hochschätzung durch die Kirche — und insbesondere ihre Ordenleute — macht:
Will man die Haltung der »Armut«, um bei diesem Beispiel zu bleiben, im Rahmen der Theologie der Befreiung als einen Weg zur ÜBerwindung sozialer Ungleichheit durch solidarische Gemeinsamkeit mit den Menschen begründen, so gerät man leicht in die Gefahr eines doppelten Denkfehlers. Zum einen erscheint es als sehr problematisch, daß sich die Lage der Länder der Dritten Welt, rein ökonomisch bestrachtet, durch eine Art internationalen Konsumverzichts der Industrieländer verbessern lassen könnte, so sehr dieses Rezept auch immer wieder in den Ansprachen von Papst Johannes Paul II. empfohlen werden mag. Der Wohlstand der westlichen »kapitalistischen« Länder verdankt sich im wesentlichen den Umwälzungen der Industrialisierung, die ihrerseits nicht denkbar gewesen wären ohne den jahrhundertelangen Gewerbefleiß des theologisch oft so verachteten »Bürgertums«; wer diesen Geschäftssinn, ja Profitegoismus als Motiv des menschlichen Handelns mit Worten der Bergprdigt diskriminiert, riskiert, den Motor zu zerstören, durch den jedweder Anstieg von Einkommen und Wohlstand bislang auf dieser Erde zustandegekommen ist. Die Wirtschaftsethik des Adam Smith z.B. hat gezeigt, daß es unter ökonomischen Gesichtspunkten sehr wohl möglich ist, den Egoismus des Geschäftssinnes mit dem Altruismus des Gemeinwohles in Übereinstimmung zu bringen. Umgekehrt scheint es nur schwer möglich, das Anliegen irdischen Wohlergehens auf Motive zu stützen, die etwas ganz anderes im Sinne haben als Einkommen, Rente, Alterssicherung, Krankenhausbeihilfesätze u.ä. Ludwig Feuerbach war wohl der erste, der klar und eindeutig herausstellte, in welch einem grotesken Mißverhältnis die Grundlagen des modernen Lebens zu den vorgeblichen Idealen des Christentums stehen. Mit anderen Worten: es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß sich die Haltung des »evangelischen Rates« der Armut zugunsten einer Ökonomie der Steigerung von Wohlstand im Sinne einer Erhöhung der Erzeugungs- und Verbrauchsrate von Energie pro Kopf der Weltbevölkerung nach westlichem Vorbild einigermaßen plausibel machen läßt. Radikal gelebte Armut nach dem Beispiel des Buddha, der ägyptischen Wüstenmönche oder des heiligen Franziskus vereinbart sich im Grunde nicht einmal mit einer geordneten Arbeitstätigkeit, sie ist wirklich nur als gelebtes Bettlertum sinnvoll und setzt somit an ihren Rändern eben jenes Bürgertum logisch wie wirtschaftlich voraus, das sie der Haltung nach in Frage stellt.

Zudem verfügt das Christentum, wenn es nicht zur Ideologie verkommen will, angesichts der Vielfalt und Vielschichtigkeit ökonomischer, ökologischer und politischer Fragen im Umgang mit dem Elend der Dritten Welt über keinerlei Patentrezepte, die sich als göttliche Wahrheit dokumentieren ließen, und es läßt sich fehlende Sachkompetenz nun einmal durch keine, wenn auch noch so große Gesinnungsintensität kompensieren.
(Drewermann, Kleriker 357 f.)
Goldene Worte, die sozialromantisch bewegte Gläubige studieren sollten, bevor sie durch die Unterstützung irgendwelcher »Entwicklungshilfe«-NGOs und anderer Tarnorganisationen gutmenschlicher Selbstrechtfertigung das Übel eher perpetuieren, als beheben. Auch sonst ist Drewermanns Buch — so pflichtgemäß totgeschwiegen es in kirchlichen Kreisen auch wird! — eine lesenswerte Analyse über »Gott und die Welt«, aus der ich sicher in den nächsten Tagen und Wochen die eine oder andere Lesefrucht zu passendem Anlaß zitieren werde.

4 Kommentare:

Rational hat gesagt…

Goldene Worte, die sozialromantisch bewegte Gläubige studieren sollten

In der Tat!

Vielleicht aber auch Anstoß für den werten LePenseur selbst, seine (verfassungswidrige) Religionslastigkeit in politischem Zusammenhang zu überdenken und dazu den Untertitel seines Blogs ("konservativ") seinem Niveau anzupassen - oder besser gleich wegzulassen.

Für gescheite, also liberale Leser wirkt "konservativ" nicht sonderlich einladend.

Le Penseur hat gesagt…

@Rational:

1. mir »verfassungswidrige Religionslastigkeit« vorzuwerfen, wirkt auf mich ein wenig lächerlich. Auf welche »Verfassung« beziehen Sie sich dabei überhaupt (außer auf Ihre Gemütsverfassung — mag sein, daß Sie darin meine angebliche »Religionslastigkeit« stört, aber damit müssen Sie halt leben) — die deutsche, die österreichische ...?

2. Wie ich meinen Blog betitle und ob ich mich als »konservativ« empfinde und bezeichne (oder halt nicht), entscheide wohl ich ganz allein. Und ich bin eben durchaus der Meinung, daß mein Standpunkt als »konservativ« bezeichnet werden kann.

3. Ob »liberale« Leser pauschal als »gescheit« zu bezeichnen sind, wage ich zu bezweifeln. Ich kenne auch jede Menge Liberaler, die einen mir kaum nachvollziehbaren Dogmatismus an den Tag legen, und mich hiedurch an ihrer »Gescheitheit« zweifeln lassen. Daß mein Blog auf solche Leser möglicherweise nicht »einladend« genug wirkt, nehme ich gerne in Kauf. Man muß nicht mit Goethe »vieles« geben, um manchem etwas zu geben. Dafür gibt es Blogs und Foren mit großer Breitenwirkung — aber das ist nicht mein Ziel.

Ich schreibe darüber, was mir wichtig und richtig erscheint. Sicher werde ich keinen Leser abweisen (und wüßte rein »technisch« gar nicht, ob das bei »blogger« überhaupt möglich wäre!), aber daß ich meine Standpunkte verbiege, um »einladend« zu wirken — danke, nein! Sie vergessen dabei meine dritte Charakterisierung im Titel: »nonkonformistisch«.

Wer meinen Blog nicht einladend genug findet, möge sich anderswo umsehen. Ich kann damit problemlos leben.

FDominicus hat gesagt…

Es geht um "Deutungshoheit". So sind neoliberale ja "Schuld an allem" und wenn etwas oder jemand liberal in den Mund nimmt dann ist er mit Sicherheit vom Großkapital gekauft. Wenn einer für liberale Grundsätze eintritt dann ist das für Linke eine Provokation die fast immer mit dem N.... wort kommentiert wird. Vertritt jemand liberale Positionen in einem sagen wir mal "christlich" orientierten Kreis ist man ein Ungläubiger, kaltherziger Kapitalist.

Egal welche Flanke der Öko-sozial-grünen-politisch-korrekten irgendjemanden sucht auf den man eindreschen kann. Dann sind "Liberale" aller Coleur eigentlich prädestinierte Opfer.

Es ist vielleicht das schlechte Gewissen was man sich mit derartigen Beschimpfungen beruhigen möchte. Denn "Mann/Frau" ist eben ein besseren Mensch während Liberale es jedem zugestehen nach eigener Fasson zu leben. Mit einer kleinen aber ganz "fiesen" Einschränkung. Nämlich nicht auf "Kosten" eines Anderen und das ist eine absolute no-go Gegend für alle Anderen.

Da werden soziale Gerechtigkeit oder unsoziale Arbeitgebe beschworen, Ausbeutung die nur er "gute" Staat verhindern kann. Die Hölle und/oder ein Paradies versprochen, etc pp. Das alles sind Lügen nur oft genug wiederhold werden daraus Dogmen und Dogmen sind doch "sicherlich gut", oder nicht?

Somit denke ich trifft dieses Blog genau den richtigen Nerv, nämlich den "Überzeugten" Gutmenschen mal eine Wahrheit vorzuhalten, die diese niemals erkennen würden, auch wenn Sei davon gebissen würden..

Bellfrell hat gesagt…

Werter Penseur!

Ich habe mir erlaubt, Ihr "Zitat der Woche" und eine Anmerkung zu "Rationals" irrationalem Kommentar zu verlinken.